Bei der Entstehung der Adipositas sind immer mehrere Faktoren in unterschiedlicher Intensität beteiligt. Die Ursachen der Adipositas unterscheiden sich von Patient zu Patient. Alle Betroffenen haben jedoch gemeinsam, dass sich in den letzten 50 Jahren ein evolutionärer Vorteil zu ihrem Nachteil entwickelte. In früheren Jahren war die Fähigkeit, in Zeiten der Verfügbarkeit von Nahrung zuzunehmen, d. h. in Fettdepots für schlechtere Zeiten abzuspeichern, eine evolutionsbiologische Überlegenheit. In Zeiten, in denen ein Überangebot von Nahrung den Normalzustand darstellt, wandelt sich dieser Vorteil schnell zum Problem. Zeiten der Nahrungsknappheit, mit entsprechender automatischer Gewichtsabnahme, bestehen nicht mehr.
Der genetische Aspekt: Ist Adipositas erblich?
Viele Untersuchungen der vergangenen Jahre weisen darauf hin, dass Adipositas zu einem nicht unerheblichen Teil erblich bedingt sein kann.
Bereits 1986 konnte durch Stunkard et al. im Rahmen einer Adoptionsstudie gezeigt werden, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Body Mass Index der erwachsenen Kinder und dem der
biologischen Eltern, nicht jedoch zu dem der Adoptiveltern besteht. Dabei war der Zusammenhang mit dem Gewicht der Mutter enger als mit dem Gewicht des Vaters. 80 % der Kinder wurden adipös, wenn
beide Elternteile adipös waren. Nur 14 % der Kinder normalgewichtiger Eltern entwickelten eine Adipositas.
Auch das hohe Maß an Übereinstimmung im Body Mass Index eineiiger Zwillinge deutet auf eine genetische Komponente der Adipositas hin. Eineiige Zwillinge, die getrennt voneinander aufwachsen, weisen
zu einem höheren Anteil einen ähnlichen BMI auf, als getrennt voneinander aufwachsende zweieiige Zwillinge (Stunkard, Harris, Pedersen und McClearn; 1990).
Im Rahmen tierexperimenteller Studien konnte das sog. Obesitasgen (ob-Gen) nachgewiesen werden. Mäuse, denen das sog. ob-Protein (Leptin) verabreicht wurde, zeigten eine verminderte Futteraufnahme,
eine höhere Körpertemperatur und einen höheren Aktivitätsgrad. Innerhalb kurzer Zeit kam es zu einer deutlichen Gewichtsabnahme (Wirth 1997).
Der Leptinspiegel ist bei allen Adipösen erhöht. Adipöse Patienten haben demnach eine erhöhte Resistenz gegen die Wirkung des Leptins (verminderte Nahrungsaufnahme, gesteigerte Aktivität,
Gewichtsabnahme).
Bei 5 % aller extrem adipösen Patienten findet sich zudem eine Mutation des sog. Melanocortin-4-Rezeptors. Darüber hinaus wird über eine genetisch festgelegte Fettzellenzahl diskutiert.
Dennoch lässt sich Adipositas nicht alleine durch genetische Faktoren erklären.
Soziale Gewohnheiten
Einen entscheidenden Teil an der rasanten Zunahme der Adipositas in den Industrieländern trägt der Lebensstil in unserer Gesellschaft bei. Soziale Gewohnheiten verführen leicht zu einem Adipositas
begünstigenden Lebenswandel. Kurzum: unsere Gesellschaft bewegt sich zu wenig und isst zu viel.
Folgende Faktoren begünstigen die Gewichtszunahme:
Trotz aller Verführungen in unserer modernen Wohlstandgesellschaft ist immer auch das individuelle (Ess-)Verhalten für die ganz persönliche Energiebilanz ausschlaggebend.
Psyche
Wie bei vielen Erkrankungen spielt auch bei der morbiden Adipositas die Psyche eine wichtige Rolle. So werden die Essgewohnheiten ständig durch die Umwelt beeinflusst. Nicht zuletzt in der Werbung
wird auf die optische Wirkung gesetzt, die zum Essen animieren soll. Gerüche tun das Übrige. Hinzu kommt oft ein vom Umfeld aufgebauter Druck, mitzuessen. Auch Trauer und Stress können zu
unkontrollierter Nahrungsaufnahme, weit über den Normalbedarf hinaus, beitragen. Wer kennt nicht das süße Trostpflaster?
Viele Patienten mit Adipositas setzten sich zudem selbst unter Druck. Der Nulldiät folgt oft das opulente Frustessen mit dem bekannten Jo-Jo-Effekt. Hier kann sich ein regelrechter Teufelskreis
zwischen Diät und unkontrolliertem Essen entwickeln, aus dem die Betroffenen ohne Hilfe kaum entrinnen können.
Einflussfaktoren auf das Essverhalten |
|||
Kognitiv (Wissen, Einstellung, Gebote, Verbote) |
Genetisch |
Emotional (Süßhunger, Stressessen, Ersatzbefriedigung) |
Lernprozesse (Konditionierung, soziokulturelle Norm) |